Sehnsucht nach dem Himmel
Ich habe eine lange Zeit hin und her überlegt, ob ich diesen Artikel schreiben soll oder nicht. Schließlich geht es hier echt um etwas sehr privates. Inzwischen habe ich jedoch etwas Abstand zu diesem Thema gewonnen und denke, es ist sehr wichtig darüber zu sprechen, oder auch zu schreiben.
Gott! Du bist mein Gott, dich suche ich! Ich sehne mich nach dir mit Leib und Seele;
ich dürste nach dir wie ausgedörrtes, wasserloses Land.
Psalm 63,2
Sehnsucht.
Für mich ein nicht besonders vertrautes Wort. Ich kenne kaum Heim- oder Fernweh, Sehnsucht nach einer bestimmten Sache oder einem Menschen. Ja natürlich dachte ich zwar sie früher gut zu kennen, aber erst jetzt weiß ich, was es bedeutet, sich vor Sehnsucht zu „verzehren“…
Wisst ihr, ich hatte ab Februar diesen Jahres eine echt harte Zeit. Ich hatte von heut auf morgen einen neuen Schub und war einfach nur noch am kämpfen.
Nun, mit diesem Schub überkam mich eine noch nie gekannte Sehnsucht, eine Sehnsucht nach dem Himmel. Sie war so tiefgehend und stark, dass sie mich jedes Mal unversehens wie ein Zug überrollte und mir die Tränen in die Augen trieb. Dann musste ich einfach mit Jesus darüber reden… Bis mein Herz wieder ganz friedlich und vertrauensvoll in seiner Gegenwart ruhte.
Nein, ich war weder depressiv noch selbstmordgefährdet. Sagen wir es mal so, ich hatte einfach heftiges „Heimweh“.
Herr, du weißt, wonach ich mich sehne, du hörst mein Seufzen.
Psalm 38,10
Kennt ihr das? Habt ihr das auch schon mal erlebt? Ich hatte ja schon andere schlechte Zeiten durchgemacht, aber so eine heftige und andauernde Sehnsucht nach Gott hatte ich bisher noch nicht erfahren.
Und ich war überfordert.
Ich konnte es mir nicht erklären und irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Mir schossen solche Gedanken durch den Kopf:
Bist du denn nicht dankbar für all die Gnade, mit der dich Gott jeden Tag überschüttet?
Liebst du deinen Mann und deine Familie nicht, dass du ihnen das antun willst?
Bist du denn so wehleidig, dass du das nicht aushalten kannst?
Du stellst dein eigenes Wohlergehen über das deiner Lieben!
Aber es wurde immer heftiger, und irgendwann wischte ich mir dann mehrmals am Tag ein Tränchen oder auch ein paar mehr aus den Augen, …einfach vor lauter Sehnsucht beim Herrn zu sein, damit er mir meine Tränen für immer abwischt und ich einfach in seiner herrlichen Gegenwart sein darf… Ohne Schmerzen, ohne Schwäche, ohne Brainfog, einfach ohne diesen sündigen Körper, der mich so fertig macht.
Wie ein Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott!
Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott:
Wann werde ich kommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?
Psalm 42,2-3
Also stellte ich mich auf den Prüfstand.
Was war es, was diese Sehnsucht in mir auslöste? Lag da wirklich ein ernstes Problem begraben?
Also beobachtete ich mich. Ich meinte, wenn diese Sehnsucht in dem Moment aufkommen würde, wenn es mir besonders schlecht ginge, dann war es wohl einfach der Überdruss meiner Beschwerden. Aber nach ein paar Tagen konnte ich diesen Punkt ausschließen. Die Sehnsucht überrollte mich einfach so, aber meistens beim Nachdenken über Gottes Wort oder im Gebet, besonders wenn ich in Gedanken mit Gott redete.
War ich dann einfach undankbar? Ich prüfte mein Herz, und es schien, umso dankbarer ich wurde, umso mehr ich Gott lobte und dankte für all die scheinbar kleinen oder großen Gaben, die mich jeden Tag umgeben, umso heftiger wurde meine Sehnsucht. Ich hatte Sehnsucht nach dem Geber, nicht nach den Gaben. Und umso mehr ich für die Gaben dankte, umso herrlicher, schöner und begehrenswerter wurde der Geber.
Nun blieb noch die letzte Hürde, die mich nicht ruhen ließ. Bin ich also egoistisch mir zu wünschen, bald beim Herrn zu sein? Liebe ich meine Lieben nicht wirklich?
Und auch hier prüfte ich mich ernsthaft. Natürlich liebe ich meine Lieben und meinen Nächsten nicht wie mich selbst. Sonst wäre ich ja vollkommen. Aber wenn ich daran dachte, meinen Mann und meine Familie hier zurückzulassen, tat es mir sehr weh in meinem Innern. Es war ein schrecklicher Gedanke. Aber die Sehnsucht war stärker…
Und selbst wir, obwohl wir im Heiligen Geist einen Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit erhalten haben,
seufzen und erwarten sehnsüchtig den Tag, an dem Gott uns in unsere vollen Rechte als seine Kinder einsetzen
und uns den neuen Körper geben wird, den er uns versprochen hat.
Römer 8,23
Nun gab es keine Bedenken mehr in meinem Inneren, diese Sehnsucht zu empfinden, sie vor dem Herrn auszuschütten und mich von ihm trösten zu lassen. Nun konnte ich glücklich und geborgen einschlafen, wie ein Kind im Arm seiner Mutter.
Es war also Gottes Mittel, um mich in dieser schweren Zeit ganz nah an ihn zu binden, um mich zu trösten, um mir Frieden zu geben und soviel Glück, Liebe und Freude zu empfinden, die es nur in seiner Gegenwart gibt.
Vielleicht gab es auch einen anderen Grund dafür, warum der Herr das in mir gewirkt hat. Das weiß ich nicht, aber eines weiß ich ganz genau: Als ich meine Bedenken loslassen und es vom Herrn annehmen konnte, erlebte ich die schönsten Stunden, den tiefsten Trost, ja, ich meine, den Himmel selbst in meinem kleinen Zimmer. Gott kannte meine Situation, besser als ich sie selbst verstand, und er gab mir als mein lieber Vater genau das, was ich brauchte, – Kraft und Mut weiterzumachen, angetrieben durch die Freude an ihm.
Ja, das war es wert.
In unserem irdischen Zelt seufzen wir, weil wir uns nach der Wohnung sehnen, die aus dem Himmel stammt,
und am liebsten würden wir den neuen Körper wie ein Gewand direkt über den alten anziehen.
Ja, solange wir noch in unserem irdischen Zelt wohnen, wo so vieles uns bedrückt,
seufzen wir ´voll Sehnsucht`, denn wir möchten ´den jetzigen Körper am liebsten` gar nicht erst ablegen müssen,
sondern ´den künftigen` unmittelbar darüber anziehen.
Auf diese Weise würde das, was sterblich ist, sozusagen vom Leben verschlungen.
2. Korinther 5,2.4
Am Ende sehnt sich das menschliche Herz nicht nach den Gaben Gottes, sondern nach Gott selbst. Ihn zu sehen und in Seiner Gegenwart zu sein, bedeutet für die Seele die höchste Freude, das Ende allen Sehnens. Wir finden dafür keine Worte. Wir nennen diese Erfahrung Genuss, Freude, Entzücken, aber diese Begriffe sind schwache Versuche, eine unaussprechliche Erfahrung in Worte zu fassen. „Eins habe ich vom HERRN erbeten, danach trachte ich: zu wohnen im Haus des HERRN und nachzudenken in seinem Tempel“ (Psalm 27,4). „Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich“ (Psalm 16,11). „Habe deine Lust am HERRN“ (Psalm 37,4).
John Piper, „Sehnsucht nach Gott“, S. 86, 3L Verlag