Aus John Bunyans Allegorie: Die Pilgerreise

Als Christian und Hoffnungsvoll erwachten, sah ich, dass sie sich aufmachten, um zur Stadt hinaufzugehen. Die Reflexion der Sonne auf der Stadt war so blendend (denn sie war aus reinem Gold), dass sie noch nicht in der Lage waren, mit bloßem Auge hinzuschauen, sondern nur mittels eines Spiegels, den sie dazu vorfanden.

Als sie so weiterwanderten, sah ich, dass ihnen zwei Männer begegneten, bekleidet mit goldglänzenden Kleidern. Ihre Gesichter leuchteten wie das Licht.

Die Männer fragten die Pilger, woher sie kämen, wo sie übernachtet hätten, welche Probleme und Gefahren sie überstanden und welchen Trost und welche Freuden sie unterwegs gehabt hätten. Über alles gaben sie bereitwillig Auskunft.Christian und Hoffnungsvoll baten die Männer, sie zu begleiten. Die Männer waren auch bereit dazu, doch setzten sie hinzu: „Die himmliche Stadt könnt ihr nur durch euren Glauben erreichen.“

So sah ich sie zusammen weitergehen, bis das Tor vor ihnen lag.

Ich sah auch, dass zwischen ihnen und dem Tor ein Strom war, aber keine Brücke und der Strom war tief. Dieser Anblick erschreckte die Pilger. Aber die Männer, die mit ihnen gegangen waren, sagten: „Ihr müsst hindurch, sonst kommt ihr nicht an das Tor.“ 

Aber die Pilger sahen sich erst einmal um, ob es nicht doch eine andere Gelegenheit gäbe, worauf die Männer antworteten: „Doch, es gibt eine, aber außer Henoch und Elia hat ihn seit der Erschaffung der Welt noch keiner betreten dürfen. Das wird auch bis zum Klang der letzten Posaune so bleiben.“

Die Pilger, und besonders Christian, entmutigte diese Auskunft sehr. Sie sahen mal hierhin, mal dorthin, aber da gab es keinen Weg, der sie über den Strom geführt hätte. Dann fragten sie die Männer, ob der Strom überall gleich tief sei, worauf diese antworteten: „Nein.“ Aber sie konnten ihnen auch in dieser Sache nicht helfen, denn, so sagten sie, je nachdem wie groß euer Glaube an den König der Stadt ist, wird der Strom tiefer oder flacher sein.

Sie gingen auf das Wasser zu, und Christian hatte kaum einen Schritt hineingetan, als er zu sinken begann. Er schrie seinem guten Freund Hoffnungsvoll zu: „Ich sinke! Die Fluten umgeben mich. Alle Wogen und Wellen gehen über mich hinweg.“
„Sei zuversichtlich, lieber Bruder, ich fühle Grund, und er ist gut“, sagte Hoffnungsvoll.
„Ach, mein Freund“, rief Christian wieder, „mich überfällt Todesangst. Ich werde das Land nicht sehen, wo Milch und Honig fließen.“ Über Christian fiel eine solche Dunkelheit und Todesangst, dass er nichts mehr sehen konnte. Er wurde fast ohnmächtig, sodass er sich auch nicht mehr an irgendein tröstliches Erlebnis seiner Pilgerreise erinnern konnte. Alles, was er sagte, verriet den Schrecken, der ihn erfasst hatte: die große Furcht, dass er in den Wellen umkommen und niemals das Tor der Stadt erreichen würde. Jetzt wachten auch alle seine unruhigen Gedanken über die Sünden wieder auf, die er während und vor seiner Pilgerreise begangen hatte. Man konnte auch beobachten, dass er von bösen Geistern geplagt wurde. Das ließen seine Worte vermuten.

Hoffnungsvoll hatte alle Mühe, Christians Kopf über Wasser zu halten. Ja, zwischendurch ging er auch ganz unter und kam dann wieder halb tot an die Wasseroberfläche.
„Oh Bruder“, tröstete Hoffnungsvoll, „ich sehe das Tor. Menschen stehen dort, die uns begrüßen wollen.“
Aber Christian konnte nichts sehen. „Sie warten nur auf dich“, sagte er. „Du bist hoffnungsvoll gewesen, seit ich dich kenne.“
„Und du genauso.“
„Bruder“, klagte Christian, „wenn es gut um mich stehen würde, dann würde er kommen und mir hier heraushelfen. Aber er hat mich wegen meiner Sünden in dieses Netz geführt und mich verlassen.“
„Oh nein, mein Bruder“, half Hoffnungsvoll, „du hast nur das Wort vergessen, das von den Gottlosen gesagt wird: Sie sind in keiner Gefahr des Todes. Sie stehen fest wie ein Palast. Sie sind nicht in Mühsal wie sonst die Leute und werden nicht wie andere Menschen geplagt. Die Angst und Not, die du jetzt in dem Wasser empfindest, sind nicht ein Zeichen dafür, dass dich Gott verlassen hätte. Sie sollen dich nur prüfen, ob du dich an die früheren Beweise seiner Liebe erinnern kannst und ob du auch im Leiden fest auf ihn vertrauen wirst.“

Diese Worte machten Christian nachdenklich.
„Sei voller Mut“, sagte Hoffnungsvoll noch einmal, „Jesus Christus wird dich herausholen.“
Bei diesen Worten platzte es aus Christian heraus: „Oh, ich sehe ihn wieder!“, rief er mit lauter Stimme. „Er versichert mir: Wenn du durch das Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Fluten nicht zum Ertrinken bringen sollen.“

Nun fassten die beiden Mut und der Feind verstummte. Als sie schließlich auf der anderen Seite waren, fand auch Christian  wieder den Boden unter den Füßen, und so kamen sie ans andere Ufer.

Hier warteten die beiden glänzenden Männer auf sie. Sie begrüßten sie und sagten: „Wir sind dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst für die, die Rettung bekommen sollen.“ Mit ihnen zusammen gingen sie auf das Tor zu.

Nun muss man wissen, dass die Stadt auf einem mächtigen Hügel liegt, aber die Pilger erklommen ihn ohne Mühe, weil sie von diesen beiden Männern geführt wurden. Auch hatten sie ihre sterblichen Kleider im Fluss zurückgelassen: Sie hatten sie noch getragen, als sie ins Wasser gingen, und kamen ohne sie wieder heraus. So hinderte sie nichts mehr am leichten und schnellen Gehen, obwohl die Fundamente, auf die die Stadt aufgebaut war, noch über den Wolken lagen. Sie verließen die Erde mit freundlichen Gesprächen und getröstet, weil sie ja das Ufer des Stromes so sicher erreicht hatten und nun von so herrlichen Begleitern jene Hilfe empfingen, und gingen über Luftregionen hinaus.

Ihre Gespräche mit den Glänzenden bezogen sich auf die Herrlichkeit der Stadt. „Dort ist“, so sagten diese, „der Berg Zion, die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem und die vielen tausend Engel und die Geister der vollendeten Gerechten. Ihr geht nun“, sagten sie weiter, „in das Paradies Gottes. Dort werdet ihr den Baum des Lebens sehen und von seinen immer frischen Früchten essen. Man wird euch dort weiße Kleider anziehen und ihr werdet mit dem König regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ihr werdet dort nicht mehr sehen, was ihr auf der Erde gesehen habt: Trübsal, Sorgen, Krankheit, Schmerz und Tod, denn das Alte ist vergangen. Alles ist neu geworden. Ihr werdet Abraham sehen, Isaak und Jakob und die Propheten – alle Menschen, die Gott vor allem Bösen, das kommen wird, gerettet hat. Sie sind nun zum Frieden gekommen und ruhen auf ihren Lagern.“

Die beiden Pilger fragten die Glänzenden: „Was werden wir an diesem heiligen Ort tun müssen?“
„Ihr müsst den Trost für alle eure Schmerzen und die Freude für alle eure Traurigkeit bekommen. Ihr werdet ernten, was ihr gesät habt, nämlich die Frucht all eurer Gebete und Tränen und Leiden für den König unterwegs. Ihr werdet dort goldene Kronen tragen und euch im Anschauen des Hochheiligen freuen, denn ihr werdet ihn sehen, wie er ist. Dort werdet ihr ihm ohne Ende mit Lobpreis, Jubeln und Danksagung dienen, dem ihr schon in der Welt dienen wolltet, obwohl euch das wegen der Schwachheit eures Fleisches oft sehr beschwerlich war. Dort werdet ihr euch sattsehen am Anblick des Allmächtigen und eure Ohren werden seine Stimme hören. Dort werdet ihr euch mit euren Freunden wieder freuen, die euch vorangegangen sind, und ihr werdet jeden mit Freuden begrüßen, der auch an diesen heiligen Ort nachkommt. Ihr werdet bekleidet werden mit Herrlichkeit und Ehre, und wenn die Posaune ertönt, dann werdet ihr mit dem König der Herrlichkeiten wie auf Flügeln des Windes in den Wolken des Himmels kommen. Und wenn er auf dem Richterstuhl sitzt, werdet ihr neben ihm sitzen. Ja, und wenn er alle Ungerechten richten wird, sowohl Menschen als auch Engel, werdet ihr ein Stimmrecht haben, weil seine Feinde auch eure Feinde waren. Und wenn er endlich zurückkehren wird in die Stadt, werdet ihr beim Klang der Posaune mit ihm gehen, und ihr werdet immer bei ihm sein.“

Als sie sich mit diesen Gesprächen dem Tor näherten, kam eine Gruppe der himmlischen Heerscharen auf sie zu. Denen stellte der eine der beiden Glänzenden die Pilger vor und sagte: „Diese beiden Männer haben unseren Herrn geliebt, als sie noch auf der Erde waren, und die haben um seines heiligen Namens willen alles verlassen. Und er hat uns ausgesandt, ihnen entgegen zu gehen, und nun bringen wir sie auf ihrer Reise so weit, dass sie in die Stadt eingehen können, um ihren Erlöser von Angesicht zu Angesicht zu sehen.“

Da brachen die Himmlischen in großen Jubel aus. Sie riefen: „Selig sind, die zum Hochzeitsmahl des Lammes gerufen sind!“ Dazu kamen auch einige von den königlichen Posaunenbläsern, ebenfalls in weißen, glänzenden Gewändern, und erfüllten den Himmel mit den Klängen ihrer Instrumente. Sie begrüßten Christian und Hoffnungsvoll mit zehntausendstimmigem Jauchzen und Posaunenklang.

Danach waren sie von allen Seiten umringt, Einige gingen vor ihnen, einige hinter ihnen, einige rechts und andere links, als wäre es ihre Leibgarde auf dem Weg in die himmlische Welt. Und dabei jauchzten und jubelten sie mit den hohen Tönen der Posaunen um die Wette, sodass jeder meinte, der dies mit ansehen konnte, der Himmel sei zu ihrem Empfang herabgekommen. Während die Musikanten fröhliche Melodien bliesen, ließen sie durch Gesten und Blicke die Pilger spüren, wie sehr sie hier willkommen waren und mit welcher Freude sie sie aufnahmen.

So waren diese beiden Männer schon im Himmel, bevor sie ihn überhaupt betreten hatten, hingerissen vom Anblick der Engel und beim Hören dieser himmlischen Musik. Als sie die Stadt selbst vor sich sahen, glaubten sie, die Glocken zu ihrem Willkommen läuten zu hören. Doch am allermeisten erfreute sie der Gedanke, nun in dieser Umgebung und dieser Gemeinschaft zu leben, und zwar für immer und ewig. Welcher Mund, welche Feder ist überhaupt in der Lage, diese überschwängliche Freude auszudrücken!

So kamen sie an das Tor der Stadt.

Als sie vor dem Tor standen, sahen sie, dass mit goldenen Buchstaben darüber geschrieben stand: „Selig sind, die ihre Kleider waschen, dass sie teilhaben an dem Baum des Lebens und zu den Toren hineingehen in die Stadt.“

Dann sah ich in meinem Traum, dass die Glänzenden ihnen befahlen, am Tor zu rufen. Daraufhin sahen einige Männer über das Tor nach draußen – es waren Henoch, Mose und Elia. Ihnen wurde gesagt, diese beiden Pilger seien aus der Stadt Verderben und seien aus Liebe zum König der Stadt gekommen. Danach gaben die Pilger beide ihren Beglaubigungsbrief ab, den sie ja zu Beginn ihrer Pilgerfahrt erhalten hatten. Diese Schreiben wurden dem König gebracht. Als dieser sie gelesen hatte, fragte er: „Wo sind diese Männer?“ Und als man ihm gesagt hatte, dass sie außerhalb des Tores ständen, befahl er, das Tor zu öffnen, denn er sagte: „Tut auf die Tore, dass herein gehe das gerechte Volk, das den Glauben bewahrt.“

Nun sah ich, wie diese zwei Männer in das Tor gingen. Als sie eintraten, wurden sie verwandelt und mit Gewändern bekleidet, die glänzten wie Gold. Danach gab man ihnen Harfen und Kronen. Die Harfen zum Lobgesang und die Kronen als Zeichen der Ehre.

Dann hörte ich in meinem Traum wieder den Klang aller Glocken der Stadt und wie den Pilgern zugerufen wurde: „Geht hinein zur Freude eures Herrn!“ Und ich hörte die Männer selbst mit lauter Stimme singen: „Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

Jetzt, da die Tore offen waren, um die Männer einzulassen, sah ich hinter ihnen her und sah, wie die Stadt leuchtete wie die Sonne. Auch die Straßen, denn sie waren aus Gold, und in den Straßen sah ich viele Menschen. Sie trugen Kronen und hielten Palmenzweige in ihren Händen und goldene Harfen und sangen Lobgesänge.
Ich sah auch welche, die Flügel hatten und ohne Unterbrechung einander zuriefen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr!“ Und dann wurde das Tor geschlossen.

Als ich das alles gesehen hatte, da wünschte ich, ich könnte bei ihnen sein. … Da erwachte ich und wunderte mich. Und siehe – es war ein Traum.

Ein Zitat aus dem Buch „Die Pilgerreise“ von John Bunyan, S. 155ff., SCM Verlag